Kurs Straße von Gibraltar. Die Idee ist, zwischen zwei Starkwindfeldern mit leichtem Wind bis zum berühmten Felsen zu kommen, so dass wir idealerweise am übernächsten Morgen die richtige Strömung erwischen, um durch die Meeresenge durchzugehen. Unser Wettercoach hatte uns ja kurzfristig auf die Reise geschickt- non stop bis Gran Canaria. Der Wind lässt uns leider ziemlich im Stich, und so motoren wir dahin, mit der Genua als Verstärkung. Guido bastelt uns eine Meerwassserdusche mit einer kleinen Pumpe, die uns etwas Erfrischung in der Hitze verschafft.
Wir beginnen uns etwas genauer mit dem Thema Orcas zu befassen. Immer wieder haben wir im letzten Jahr Berichte von Angriffen auf kleinere Segelboote gehört. Bis dato weiß man nicht warum sich die Tiere plötzlich so verhalten. Im Jahr davor kamen diese Attacken vor allem an der Nordküste Spaniens vor, und in der Biskaya. Dieses Jahr scheint es sich aber zu verlagern, und zwar in ein Gebiet, das wir fast zwangsläufig zumindest touchieren werden. Nachdem es wohl zwischen März und Juli zu 53 Angriffen auf Segelboote unter 15 Metern kam (siehe Screenshot der Transocean-Seite) , mit in Folge 22 manövrierunfähigen Schiffen, hat die spanische Regierung das Gebiet zwischen Kap Trafalgar und Barbate zum Sperrgebiet erklärt. Die Zahl mag sich gering anhören. Aber wenn man überlegt, wieviele Segelboote unter 15 Metern in 4 Monaten wohl zwischen Atlantik und Mittelmeer verkehren, dann wird recht schnell klar, dass wir bei den Angriffen hier nicht von einer Chance von 1:1000 sprechen. Das Sperrgebiet befindet sich vom Mittelmeer aus gesehen am Ende der Straße von Gibraltar, auf der spanischen Festlandseite. Dem Gebiet können wir zwar gerade eben so ausweichen. Es stellt sich aber die Frage ob die Orcas auch wissen wo genau das Sperrgebiet endet…. Ein Angriff der tonnenschweren Orcas zieht oft gravierende Ruderschäden nach sich. Wer mag googelt das Thema mal- es finden sich auch einige Videos dieser Vorfälle im Netz. Wir hätten nach so einer Begegnung dann noch 700 Meilen auf die Kanaren vor uns...
Guido telefoniert mit einer spanischen Orcarettungs-Organisation, um genauere Informationen zu bekommen.
Wir lernen, wie man sich im Falle einer Orca-Begegnung verhalten sollte – Motor aus, Steuer loslassen, sich nicht über die Reling beugen, ruhig verhalten. Die Idee dahinter scheint, das Aggressionspotential rauszunehmen und sich möglichst uninteressant zu machen. In manchen Fällen rammen die Orcas die Boote am Ruder von der Seite, mal beißen sie ins Ruder. Beides eher ungut. Unsere zweite Frage an die Organisation ist wo wir am besten die Straße von Gibraltar durchqueren, um eine Begegnung so unwahrscheinlich wie möglich zu machen. Darauf erhalten wir die Information, die gesamte Straße von Gibraltar wäre für kleinere Segelboote bis auf weiteres gesperrt. Vielleicht liegt es an der sprachlichen Verständigung, aber auf jeden Fall ist das Unsinn. Somit für uns nur mittelmäßig hilfreich. Wir recherchieren weiter im Internet. Es bleibt uns letztlich aber keine andere Wahl als in der Nähe des Sperrgebiets vorbeizufahren. Auf der südlichen Seite der Meerenge liegen Ceuta und Tanger, dorthin auszuweichen kommt für uns aus verschiedenen Gründen nicht in Frage. Mittig ist ein großes Verkehrstrennungsgebiet, wo der gesamte Großschiffahrtsverkehr, der aus dem Atlantik ins Mittelmeer, und zurück möchte, fährt. Da wollen und dürfen wir nicht fahren. Bleibt uns nur die nördliche Seite ab Gibraltar die spanische Küste entlang, um dann nach dem Verkehrstrennungsgebiet quasi links abzubiegen Richtung Kanaren. Somit können wir eigentlich nicht viel tun, außer uns die Daumen zu drücken.
Aber noch sind wir entlang der spanischen Küste unterwegs und passieren so illustre Orte wie Malaga und Marbella.
Die erste Nacht bringt viele Delphine, die uns begleiten. Mir bringt die Nacht noch ein peinliches Erlebnis. Ich sehe eine Fähre, die sich recht fix auf uns zu bewegt. Laut Berechnung unseres Plotters würde sie in unter einer halben Meile Abstand, mit 25 Knoten an uns vorbeisausen. Das ist mir zu nah. Also funke ich sie an. Auf Nachfrage ob er uns sehen kann, verneint der Spanier am Funkgerät der Fähre. Schlecht, zumal bei seiner Geschwindigkeit. Das bedeutet wir senden kein AIS Signal. Damit hatte ich nicht gerechnet. Daraufhin fragt er nach unserer Position. Die steht auf dem Handfunkgerät, allerdings so klein, dass ich es nachts hier nicht lesen kann. Des Weiteren sagt unser Plotter mir diese natürlich auch an – nur komme ich mit der Handfunke nicht bis dahin, Kabel zu kurz. Ich renne also dreimal hin und her, bis ich alle Ziffern der Position zusammen habe. Nur ums zu hören – „Please repeat“…. Also nochmal hin und her gerannt. Ich schäme mich in Grund und Boden, aber hilft ja nicht. Toller Schiffsführer, der nicht mal seine Position ordentlich durchgeben kann… Es hilft aber auch generell nichts, denn er quittiert nur den Empfang und meldet sich nicht mehr. Und überholt uns dann recht nah, ohne den Kurs auch nur ein bißchen angepasst zu haben. Vielen Dank. Vielleicht hat er sich auch einen Scherz mit mir erlaubt, denn ich kann nach wie vor über AIS sowohl ihn als auch alle anderen Schiffe gut sehen.
Wir sausen dahin, mit fast 8 Knoten und machen gut Strecke. So könnten wir abends vor Schließung der Tankstelle in Gibraltar die Tanks noch voll machen, ein paar Stunden schlafen und am Morgen darauf das Strömungsfenster um 08:30 erwischen.
Es bleibt hier sehr lange dunkel, und die Luft ist sehr feucht. Dadurch fühlt es sich kalt an. Um sechs Uhr früh kann man immer noch die Hand nicht vor Augen sehen. Ab halb sieben beginnt es zu dämmern, allerdings bringt das Tageslicht auch gleich etwas Nebel mit sich.
Und eine Änderung der Reisegeschwindigkeit. Wir fahren plötzlich nur noch mit 2,7 Knoten über Grund. Das sind 5 km/h. Wir kämpfen gegen eine starke Strömung an. Obwohl wir noch ein gutes Stück von der Meeresenge entfernt sind. Darüber hatte bis jetzt keiner was geschrieben in der ganzen Literatur, die wir zur Vorbereitung gelesen haben. Kleiner Tipp liebe Autoren, das wäre sinnvoll. Denn aus dem Mittelmeer kommend macht man sich sonst nicht allzu viele Gedanken über Strömungen. Unsere Bootsgeschwindigkeit ist bei 7 Knoten, das heißt wir haben 4,3 Knoten gegen uns. Um 8 Uhr abends macht das eine Diskrepanz von 30 Meilen aus! Statt in Gibraltar zu tanken, haben wir noch ein paar Stunden vor uns.
Noch im Hellen ist unser AIS Signal plötzlich weg- also schaltet Guido kurz den gesamten Sender aus, und 10 Minuten später wieder an. Diese Minuten reichen, um uns verdächtig zu machen. Ein Boot das sich scheinbar unsichtbar machen will. Aus dem Nichts, mitten auf dem Wasser, taucht ein Speedboot des spanischen Zolls auf, hält auf uns zu, identifiziert uns anscheinend als harmlos, und dreht wieder ab. Offensichtlich wird der Seeraum hier sehr sehr genau überwacht. Ja auch beruhigend.
Um elf Uhr abends passieren wir den Felsen von Gibraltar. Der Blick auf den Tiefenmesser schreckt uns auf – 4 Meter? Das kann nicht sein, hier fahren ganz große Schiffe durch. Es ist stockdunkel und leicht neblig. Und wenn der Plotter, das GPS Signal nicht stimmt? Die Küste ist nur schemenhaft zu erkennen und mit bloßem Auge sind nachts Entfernungen schwierig zu ermessen. Aber dennoch glauben wir weit genug weg zu sein. Das Handy verortet uns an der gleichen Stelle wie der Plotter- es kann also gar nicht sein. Neben uns prustet es, wir sehen aber nach wie vor nichts. Der Tiefenmesser schwankt zwischen 3 und 8 Metern und immer wieder prustende Geräusche um uns rum. Wir versuchen verschiedenes, Motor aus, scharfe Richtungswechsel, und nach ca einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Wir wurden nicht touchiert, und wir wissen nicht ob es Wale, Orcas oder einfach Delphine waren. Aber wir sind nassgeschwitzt und mit Adrenalin bis über die Hutschnur voll. Direkt neben den Felsen und mit den ganzen Tankern um uns herum wäre ein kaputtes Ruder kein Spaß. Zumal wir jetzt wieder über 8 Knoten Fahrt machen, das heißt die Strömung schiebt uns mit über einem Knoten vorwärts. Wenn man nicht steuern kann, ist eben selbst das zu schnell. Im Dunkeln nähern wir uns Gibraltar.
Mal wieder im Dunkeln. Es sind hunderte von Tankern, die vor Gibraltar liegen. Die meisten ankern nicht, sondern lassen sich treiben, und geben manchmal unvermittelt etwas Schub . Dazwischen fahren kleinere Schlepper, mittelgroße Fischerboote und auch ganz kleine Schnellboote, teils unbeleuchtet herum. Mit dem bloßen Auge ist eine Navigation hier unmöglich – überall sind rote, grüne und weiße Lichter, unmöglich zu sagen wo die Küstenlinie verläuft und wo die Einfahrt der Marina ist. Also steuert Guido nach Plotter im Slalom zwischen den Booten durch, und ich versuche Hindernisse, die weder auf AIS noch Radar zu sehen sind, zu erspähen. Um halb eins erreichen wir die Einfahrt der Marina von La Linea, die spanische Stadt an der Grenze zu Gibraltar. Wir wollen nur noch schlafen, alles andere ist uns grad egal. Also werfen wir den Anker vor der Marina, und schlafen komatös bis 7 Uhr früh.
Morgens fahren wir als erstes zurück nach Gibraltar und tanken. Wir haben viel Diesel verbraucht im Kampf mit der Strömung. Nachdem wir auf der Fahrt das Wetter nochmal gecheckt haben, stellen wir fest, dass sich das Fenster schon wieder verändert hat. Würden wir direkt weiterfahren, müssten wir die letzten zwei Tage mit Starkwind vor den Kanaren rechnen. Also erstmal in die Marina, richtig ausschlafen, und dann legen wir uns die Karten.
Wir bekommen einen guten, sicheren Platz, mit Blick auf den berühmten Felsen von Gibraltar, der sich aber noch etwas bedeckt gibt.